0. Anstatt eines Vorwortes
„Habt ihr den Lärm in der Nacht auch wieder gehört? Wie die Soldaten die Raketen heimlich raus nach Hennickendorf gebracht haben?“
Manches Getuschel machte in den Dörfern rund um Luckenwalde in den 1960ern und 70ern die Runde. Nachdem hier inmitten märkischer Kiefern bereits
Anfang der 60-er Jahre eine kleine NVA-Kasernenanlage gebaut und geschickt allen Blicken entzogen wurde, rollten ab 1965/66 wieder größere Materialtransporte
in Richtung dieses Waldstückes. Mit sprichwörtlicher Bauernschläue kombinierte man, worum es sich wohl in dem Wald handeln könnte: Ein Raketenobjekt!
Denn zur Legendierung des militärischen Bauvorhabens mit der Nummer 16 / 017 gehörte auch das absichtliche Streuen des Raketengerüchtes.
Er war nur einer der vielen Teilschritte, um die wirklichen Pläne im Wald nordöstlich von Hennickendorf zu verschleiern. Dennoch.
Selbst Militärs stützten auch in späteren Jahren glaubhaft die These, dass man hier bei Luckenwalde eigentlich ein Raketenobjekt hinbauen wollte.
Abbildung 0.1 Viele Jahre blieb im Dunkeln, was am Ende dieses holprigen Weges vom Dörfchen Hennickendorf aus geradewegs ins Unterholz führte.
Das öffnete auch mancherlei Spekulationen Tür und Tor.
Vom Hörensagen wusste mancher, dass die Raketenobjekt Pläne lediglich ad acta gelegt wurden, weil einer der Projekt-Ingenieure
aus Ludwigsfelde mit den Unterlagen in den Westen geflohen sei. Doch das war nicht der Grund.
Inzwischen kommt die Wahrheit scheibchenweise ans Licht. Es war tatsächlich so, dass auch der Raum Hennickendorf in Konzeptionen und Planungen
zur Rundumsicherung Berlins mit Fla-Raketen einbezogen wurde.*
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* Ab Oktober 1958 begannen im MfNV die Planungen zur Bildung von Fla-Raketentruppen. Aufgestellt werden sollten 5 Fla-Raketenregimenter mit je 4 Fla-Raketenabteilungen.
Im August / September 1959 trafen die ersten FRa-Komplexe SA-75 „Dwina“ in der NVA ein.
Das zur Sicherung Berlins im November 1960 aufgestellte FR-16 (später FRR-16, dann 41.FRBr.) erhielt je eine FRa-Abteilung in Fürstenwalde, in Prötzel, in Klosterfelde
in und Kremmen.
Beim Betrachten nebenstehender Karte scheint es eine "Raketenlücke" im Süden Berlins zu geben, die mancher für seine Raketenobjekt-Theorien als Begründung heranzieht. Ehemalige Fla-Raketschiki stellen aber fest, dass unter anderem dieser Bereich von sowjetischen Kräften geschützt wurde.
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Es begann mit Legenden und Mythen |
Diese Raketen des Komplexes SA-75 "Dwina" waren (neben den Küstenraketenkomplexen mit der Flügelrakete S-2 „Sopka“) überhaupt die ersten Raketenstellungen, die die NVA errichten ließ.
Dass es dann anders kam, lag an den Planungen der GSSD (Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland). Sie "stornierten" Ende 1960 die NVA-Stationierungspläne zugunsten eigener Luftverteidigungsvorhaben.
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Abbildung 0.2 Der kleine überbaute Hügel gehörte zur P-Zone und verbarg das eigentliche Herzstück der Hennickendorfer Anlage:
Die verbunkerte militärische Hauptführungsstelle
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In jedem Falle zu hinterfragen wäre, warum ausgerechnet in einem besonders sensiblen Objekt, welches einschließlich seiner Koordinaten durch den Überläufer
an die „andere Feldpostnummer“ weitergegeben wurde, im Nachhinein ein noch sensibleres Objekt wie es eine Hauptführungsstelle nun einmal ist erbaut werden sollte?
Insgesamt weit über tausend NVA-Angehörige dienten zwischen 1969 und 1990 als Wachsoldaten, als Kraftfahrer, als Techniker, Nachrichtenspezialisten und als
Sicherstellungspersonal in der „Dienststelle PF. 92012 Luckenwalde“. Fast alle kannten das spezielle Kürzel „P-Zone“ (Parkzone) für den Kernbereich.
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Abbildung 0.3 Auch manches, was einst als „Geheime Verschlusssache“ (GVS) oder gar „Geheime Kommandosache“ (GKdos) deklariert war,
fördert nunmehr Wissens-wertes über die frühere „Führungsstelle Nr. 1“ und das dazugehörige „Objekt 17“ zutage. |
Die Verwendung des Begriffes „Schutzbauwerk“ (geschweige denn Hauptführungsstelle) galt als absolutes Tabu. Zugegeben, selbst von den Offizieren und
Unteroffizieren in der Hennickendorfer Kaserne hatte all die Jahre nur ein relativ kleiner Personenkreis den eigentlichen „Zweck“ des Objektes je von
innen gesehen. Lediglich handverlesenes, vom Chef des Hauptstabes der NVA persönlich bestätigtes Personal durfte in Friedenszeiten die
schweren Drucktüren zum Schleusensystem passieren, um als Wartungstechniker oder als Nachrichtenspezialist hier die festgelegten Aufgaben zu erfüllen.
Beim Kontrollposten im Gebäude Nummer 5 waren für den laufenden Betrieb reichlich 50 rote Zutrittsberechtigungen hinterlegt.
Führungsmäßig gehörte die Wartungseinheit 32 zu den dem MfNV direkt unterstellten Truppenteilen, Einheiten und Einrichtungen. Vorgesetzter des Kommandanten
der WE-32 war der Chef der Verwaltung Operativ beim Stellvertreter des Ministers und Chef des Hauptstabes. Die fachliche Anleitung erfolgte durch den Leiter
der Arbeitsgruppe Führungsstellen und Gefechtsbereitschaft in der Verwaltung Operativ.
Mit den nachfolgenden Aufzeichnungen wollen die Autoren nun, wo alle Geheimhaltungsbeschränkungen genauso Geschichte sind wie die Hennickendorfer Dienststelle
selbst, ein sachliches und vor allem realistisches Bild dieser Anlage (Schutzbauwerk 16/017) aufzeigen und zugleich die Entwicklung der hier wirkenden
Wartungseinheit 32 (WE-32) skizzieren. |
Zwischen 1969 und 1990 dienten weit
über 1000 Soldaten in der Dienststelle „PF. 92012“
Die Wartungseinheit 32 war dem Ministerium für Nationale Verteidigung direkt unterstellt |
In der Sachliteratur zum Thema Bunkerbau in der DDR, die zwischen 1990 und 2008 veröffentlicht wurde, ist Hennickendorf ein eher unbedeutendes und zudem
unterschätztes Kapitel. Selbst der durch die umfassende Darstellung dieser Bauwerke bekannte Bunkerforscher Paul Bergner widmete in seinem Erstlingswerk
(„Befehl Filigran“) der Wartungseinheit 32 ganze 8 Zeilen. Die Bedeutung dieses Bauwerkes erschloss sich dem Experten damals in keiner Weise.
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Abbildung 0.4 Im Soldatenjargon als „Ministerstraße“ bezeichnete Betonpiste am Südosteingang („Ministertor“) der Kaserne
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Erst mit seinem 2007 aufgelegten Kompendium „Atombunker. Kalter Krieg. Programm Delphin“ (ISBN 978-3-930588-78-7) im Weiteren bei Zitierung hier als „Delphin“ bezeichnet)
erfuhr das Schutzbauwerk in Hennickendorf auf 18 Seiten eine ausführliche öffentliche Würdigung. Insbesondere wird herausgearbeitet, dass nordwestlich von Luckenwalde
nicht irgendein beliebiges der zahlreich vorhandenen Schutzbauwerke entstand, sondern der erste eigene große Führungsbunker der militärischen Spitze der DDR. Und selbst
Paul Bergner gibt zu, dass er im Zuge der Forschungen zu seinem Buch den Stellenwert der Hennickendorfer Anlage unter ganz neuen Aspekten betrachtete.
Freimütig schreibt er: „... die Unterlagen hatte ich beinahe zehn Jahre in der Hand ohne zu wissen, wo dieses Objekt lag“ (S. 125). Um die Bedeutung des Hennickendorfer
Bauwerkes richtig zu deuten, kann man übrigens an genau vier Fingern abzählen, wie viele der insgesamt 61 hierzulande gebauten größeren Schutzbauwerke die höchste
Schutzklasse, die „A“, trugen.
Möglicherweise wäre manchem Bunkerforscher der Stellenwert des Bauwerkes 16/ 017 leichter klar geworden, wenn das Objekt auch so eine blumige Umschreibung wie die anderen
Schutzbauwerke, zum Beispiel der „Honecker Bunker“ oder der „Atombunker Harnekop“, verpasst bekommen hätte. Wie wäre es denn mit „Hoffmanns supergeheimes Headquarter“ gewesen?
Übrigens, wahrer Forscherdrang hätte Außenstehende schon viel früher auf ganz simple Fakten stoßen lassen: Wieso um alles in der Welt wurde ein kurzes Stück Betonstraße am
Südostzipfel der Kasernenanlage hinter vorgehaltener Hand immer als „Ministerstraße“ bezeichnet? Welcher Minister? Wozu?
Zurück zum Thema Militärliteratur: Andere Sachbücher wie beispielsweise „Geheime Bunkeranlagen der DDR“ von Stefan Best (Stuttgart 2003) vermitteln den Lesern durch Text- und
Bildwahl gar den irrigen Eindruck, dass die Abgesetzte Funksendestelle (AF) zwischen Kemnitz und Niebel das Wichtigste an der gesamten Hennickendorfer Anlage gewesen sei.
Ihr wurde nicht nur eine ganze Seite Farbfotos gewidmet, sondern auch 16 der 25 Zeilen zum Thema Hennickendorf widmete der Autor dieser AF. Das eigentliche Schutzbauwerk wurde
in diesem Sachbuch mit keinem einzigen Foto bedacht.
Nach Paul Bergners „Delphin“ veröffentlichte im Jahre 2008 ein Autorenquartett, zu dem Fachleute aus dem einstigen MfNV wie die Generalmajore a.D. Werner Deim und Wolfgang Schubert und die Oberste a.D. Joachim Kampe und Hans Georg Kampe zählen, auf 256
Seiten zusammengetragenes Wissen zum Thema „Die militärische Sicherheit der DDR im Kalten Krieg Inhalte, Strukturen, verbunkerte Führungsstellen und Anlagen“
(ISBN 978-3-932566-80-6) einer interessierten Öffentlichkeit. Im Zusammenhang mit dem Thema Bunker sind sicher die Kapitel über technische und konstruktive Details
der Schutzbauten und des Schutzes wie auch mannigfaltige Aussagen über die nachrichtenmäßige Sicherstellung der militärischen Führung für Interessierte von hohem
Informationswert. Die Vorgeschichte des Hennickendorfer Objektes wie auch die Errichtung des Bunkers selbst erfuhr mit den 2021 veröffentlichten Erinnerungen von Generalleutnant a.D. Wolfgang Kaiser
("Wolfgang Kaiser, 34 Jahre Soldat der NVA im Kalten Krieg", Projekt + Verlag Dr. Erwin Meißler, ISBN 978-3-932566-99-8) weitere Aufhellung.
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Die „Nichtveröffentlichten Erinnerungen der Wartungseinheit 32“ wurden zwischen 2003 und 2008 durch Ehemalige dieser Einheit zusammengetragen und erheben weder Anspruch
auf Vollständigkeit noch den Charakter eines Forschungsvorhabens der Militärwissenschaft.
Dafür, dass die „Nichtveröffentlichten Erinnerungen“ im Jahre 2008 in ihrer Ursprungsform erscheinen konnten, ist das Autorenkollektiv all jenen dankbar,
die durch Bild- und Textbeiträge zum Gelingen der Arbeit beitrugen. Bilder und militärische Dokumente stellten Gerhard Schmidt, Jürgen te Kock (†), Ekkehart Kother, Jörg Hertwig,
Rainer Höhn (†), Jörg Drobick (†) und Steffen Kabitschke zur Verfügung. Zu einzelnen Abschnitten griffen Ehemalige selbst zu Papier und Stift oder teilten ihre Erinnerungen mündlich
mit: Werner Gohlke (†), Walter Achnitz (†), Günther Schmidt, Ekkehart Kother, Gunther Enderlein, Jürgen te Kock (†), Manfred Reimann und Günter Tuchart. Ebenfalls zu Dank verpflichtet
sind die Autoren den Herren Paul Bergner, Robert Zellermann und Joachim Kampe für die Bereitstellung von in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen.
Dank diverser Forschungsvorhaben zum Schutzbauwerk 5001 (umgangssprachlich „Honecker-Bunker“) war nach 2008 eine Ergänzung der vorliegenden „Nichtveröffentlichten Erinnerungen“ möglich und angebracht. Geringfügig kam zusätzliches „Licht ins Dunkel“, sprich: in die möglichen Nutzungen des Schutzbauwerkes Hennickendorf nach 1980.
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In der Sach- und Fachliteratur fand die Anlage in Hennickendorf bis zum Jahre 2007 keine nennenswerte Erwähnung
Lediglich 4 der 61 in der DDR neu errichteten größeren Schutzbauwerke trugen
die Schutzklasse A, also die höchste Schutzklasse. Der Hennickendorfer Bunker gehörte dazu.
Wolfgang Schubert betätigte sich im Jahre 2008 als Ko-Autor eines neuen Buches über technische Anforderungen an moderne
Schutzbauwerke.
Das 1970-er Übergabeprotokoll des fertiggestellten Hennickendorfer Bauvorhabens 16/017 unterzeichnete übrigens auch oben Genannter
damals als Korvettenkapitän Dipl.-Ing. Schubert, Hauptingenieur der Verwaltung Spezialbauten |
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Abbildung 1.2 Unauffälliger Zugang zum Führungsbunker |
Ab 1. März 1964 wurde dafür das „Objekt 04 / 62“ in Geltow bei Potsdam genutzt. Es war kein neuer, sondern der umgebaute Bunkerkomplex „Großer Kurfürst“ aus der Zeit des
Dritten Reiches. Nach Ansicht des DDR-Verteidigungsministers und anderer führender Militärs erwies sich Geltow für das
MfNV als Geschützte Hauptführungsstelle aus mancherlei Gründen für die Zukunft ungeeignet. Eine zeitgemäße Führungsstelle müsse auch unter den Bedingungen des
Einsatzes von Kernwaffen zuverlässig funktionieren. Sowjetische Spezialisten kannten dank ihrer Atom-Tests die verschiedenen Wirkungen nuklearer Explosionen auf Menschen,
Bauten und Technik. An der Moskauer Militärakdemie für Pioniertruppen "W.W. Kuibyschew" wurden erforderliche Schutzkoeffizenten berechnet und gelehrt. In Bezug auf bauliche und
sicherheitstechnische Anforderungen an solch eine Führungsstelle gab es auf NVA-Seite zu jener Zeit nichts Eigenes, auf das man zurückgreifen konnte. Lediglich darüber,
welche Leitungsorgane wo im noch zu errichtenden Schutzbauwerk ihren Platz haben sollten, hatte Verteidigungsminister Heinz Hoffmann seit Geltow klare Vorstellungen.
Kurzgeschichte der Anlage GELTOW:
1936-1939: Bau des Führungsbunkers
bis 1945: Ausweichquartier des Generalstabes der Luftwaffe
1945 -1956: Nutzung des Kasernengeländes durch GSSD (Stab der 5. Stoß-Armee)
1957: Übergabe an die NVA
bis 1961: Flak-Offiziersschule
1962: „Objekt 04/62 Geltow II“
1963-1964: Beginn der Modernisierung der Bunkeranlage
1964-1970: Hauptführungsstelle der des Verteidigungsministers
ab 1972: Nutzung durch das Kommando Landstreitkräfte, Sicherstellung durch WE-40 bzw. WSB-40
1980-1983: Bau des Objektes Geltow I (Na-Bunker 16/103)
26.10.1993: Schließung der Anlage durch die Bundeswehr
Was die Armeeführung von der noch zu bauenden Hauptführungsstelle wann und wie zu führen gedachte, kann nicht Gegenstand der vorliegenden
Darlegungen sein. Bedenken sollten militärisch Interessierte jedoch, dass die Hauptkräfte der Nationalen Volksarmee im Kriegsfalle im Bestand einer der fünf Fronten
des Westlichen Kriegsschauplatzes aufgegangen wären und dann nicht mehr vom NVA-Hauptstab sondern vom Oberbefehlshaber der 1. Front der Vereinten Streitkräfte des
Warschauer Paktes geführt worden wäre. Aufgabe der NVA-Führung wäre es in jedem Falle gewesen, die Truppen von ihrer Alarmierung oder von Mobilmachungen bis
hin zur Umunterstellung an die Vereinten Streitkräfte zu führen. Danach wären Aufgaben der weiteren Sicherstellung der Fronten, Nachschubfragen sowie die Führung
der Territorialkräfte zu organisieren gewesen.
Eher hypothetisch fallen Erklärungen aus, wieso die militärische Führung in der DDR bei der Wahl eines geeigneten Territoriums für ihre neu zu errichtende
Hauptführungsstelle ausgerechnet auf den Raum Luckenwalde kam. Paul Bergner skizziert in „Delphin“ dazu mögliche Gründe: Die relative Nähe zum GSSD-Oberkommando Wünsdorf,
die bereits erfolgte Verplanung des nördlichen Berliner Raumes als Auf- und Durchmarschgebiet starker russischer Verbände oder auch die denkbare spätere Konzentrierung der
NVA-Führung auf den Standort Potsdam (vgl. Bergner, „Delphin“, S. 122). Ähnlich gelagerte Begründungen liefern ehemalige Generale des Verteidigungsministeriums.
Abbildung 1.3 Ein Waldstück nordwestlich von Luckenwalde wurde wegen seiner natürlichen Tarnung von der militärischen Führung (in Abstimmung mit den Sowjets) für die einer besonderen Geheimhaltung unterliegenden künftige Hauptführungsstelle der NVA auserkoren. Gelb markiert ist der Bereich, unter dem sich ab 1969 der Bunker befand. Das obige Luftbild entstand Jahrzehnte später.
Für den Raum Luckenwalde sprach demzufolge die ungefähr gleich weite Entfernung wie von Geltow zu den militärischen Führungszentren in Wünsdorf und in Strausberg.
Für den Standort Hennickendorf sprach aber auch, dass es hier seit Anfang der 60-er Jahre bereits eine NVA-Kaserne gab, die eine gute Infrastruktur (Strom, Wasser etc.) vorweisen konnte.
| Das Ministerium für Nationale Verteidigung erhielt 1964 die seit 1962 modernisierte, bei Geltow liegende Bunkeranlage (vormals „Großer
Kurfürst“). Nutzbar waren im operativen Bereich nur 8 größere und
8 kleine unterirdische Arbeitsräume.
Suche nach geeignetem Standort für eine neue Hauptführungsstelle der NVA
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2. Die Kaserne Hennickendorf vor 1965
Für die bewaldeten Flächen nordöstlich von Hennickendorf interessierte sich schon einmal die deutsche Wehrmacht. Ältere Dorfbewohner konnten sich jedenfalls noch genau daran erinnern, dass im Jahre 1944 verschiedene Vermessungstrupps den Wald durchstreiften. Aber richtig ernst mit dem Bauen im Wald nordöstlich des Dorfes wurde es erst in den späten 1950er Jahren.
Geplant war in Hennickendorf eine der 12 neuen Kasernen für vorerst zwei Regimenter der Luftverteidigung. Im Juli 1959 fanden die ersten Begehungen der künftigen Standorte statt. Das zweite aufzustellenden Regiment sollte in den Standorten Brück (Regimentsstab und technische Abteilung) sowie Groß-Behnitz, Lehnin, Hennickendorf und Motzen (jeweils eine FRA). Hauptverantwortlicher für den Bau
dieser Objekte war der damalige Bauingenieur Major Wolfgang Kaiser. Aus seinen 2021 erschienenen Memoiren erfahren wir, dass das Objekt der allerersten Fla-Raketenabteilung (nahe Fürstenwalde) bis zum April 1960 errichtet werden sollte und der Bau der 6 Objekte des zweiten Regimentes bis zum Jahresende 1960 erfolgte.
Abbildung 2.1 Bis Ende 1960 entstand in Hennickendorf eine Kasernenanlage für eine Fla-Raketen-Abteilung
Die 12 Kasernen hatten den gleichen Aufbau, so auch Hennickendorf
zwei Unterkunftsgebäude (f/ 5+6),
ein Stabsgebäude mit Wohnheim (f/ 7),
ein Wirtschaftsgebäude mit Küche, Speisesälen und Lager (e)
ein Klub mit Saal, kombiniert mit einer Krankenstation (d)
ein Technikpark mit Garagen, kleiner Werkstatt und Unterbringung der Technik einschließlich Tankstelle (g)
ein Heizhaus (c)
bauliche Anlagen zur Wasser- und Stromversorgung
Zufahrts- und Objektstraßen.
Vor dem Objekt sollte eine Gaststätte (a) entstehen, im Nachbarort die Wohnungen.
Soweit, so gut. Aber dann kam alles doch anders. Wolfgang Kaiser:
„Am Standort Brück waren Regimentsobjekt und Technische Abteilung sowie an vier gesonderten Standorten Abteilungskasernen zu den festgelegten Terminen im Herbst 1960 fertig gestellt. Doch dann fand keine Übergabe an unsere Partner der Luftverteidigung statt. Man informierte uns nur, dass eine anderweitige Verwendung entschieden sei. Offensichtlich hatte man in Abstimmung mit dem Kommando der sowjetischen
Luftverteidigung Präzisierungen bei den Standorten vorgenommen.“
Die nun nicht benötigten Kasernen wurden anderweitig genutzt - in Brück für die Raketentechniker, in Groß Behnitz für eine Raketenabteilung „Luna“ und in Hennickendorf eben für das Reserveausbildungsregiment 5.
Manfred Reimann, damals Unteroffizier, erinnert sich, dass er von 1960 bis 1961 in einer der Ausbildungskompanien in Hennickendorf eingesetzt war, bevor er nach Brück versetzt wurde, um dort Kradregulierer auszubilden. Feldwebel Günter Tuchart, damals Fernmelde-Truppführer, unterstreicht dies insofern, da er zu jener Zeit seinen Dienst im RAR-5 versah. Jenes war damals in verschiedenen Standorten rund um Berlin (Lehnin, Lehnitz, Storkow, Brück, Hennickendorf)
disloziert.
Abb. 2.2 Feldwebel Günter Tuchart war in Hennickendorf zunächst Nachrichten-Truppführer auf einem speziell für die NVA
hergerichteten Fahrzeug „LO 1800 Koffer“, ausgestattet mit einer 60er Feldvermittlung
Günter Tuchart kam 1961 als Nachrichtenausbilder nach Hennickendorf. Zu diesem Zeitpunkt waren hier 2 Ausbildungskompanien stationiert und in den Gebäuden 5 und 6 untergebracht. Die Führung saß im Gebäude 7. Erster Chef in der Dienststelle war der Kompaniechef der 1. Kompanie Hauptmann Paul Hetzke, der später dem Standort treu blieb - als Vorsitzender der LPG Hennickendorf.
Reserveausbildung zur damaligen Zeit hieß, dass Zivilisten in unterschiedlich langen Lehrgängen (von 2 bis zu 6 Wochen) allgemeine militärische Verhaltensweisen beigebracht bekamen beziehungsweise auch in der speziellen Verwendung als Nachrichtensoldaten geschult wurden. Günter Tuchart erinnert sich daran, dass zu den Auszubildenden jener Zeit auch Studenten der HF-Technik gehörten,
die hier sogar kosmische Signale empfangen haben. Solche Signale durften freilich niemals offiziell von den Hennickendorfern entdeckt werden, darum schrieb man diesen Empfang einfach dem „Funkamt Beelitz“ zu.
Die Ausbildung in Hennickendorf fand bis zum Herbst 1963 statt; von da an stand das Objekt leer und wurde von Soldaten des Mot.-Schützen-Regimentes 3 aus Brandenburg a.d. Havel bewacht.
In jene Zeit fiel auch der erste, wenn auch weniger erfreuliche Kontakt von OSL Werner Gohlke (dem späteren Hennickendorfer Kommandanten) mit dieser Dienststelle. Als Stellvertreter des Chefs des Potsdamer Wehrbezirkskommandos erhielt er 1964 den Anruf, dass man „sich mal um Hennickendorf kümmern solle“,weil die dort stationierten Soldaten im Dorf ein Schwein gestohlen hätten. Vor Ort
stellte sich bei den Befragungen heraus, dass die Wachsoldaten von ihren Brandenburger Vorgesetzten schlichtweg „vergessen“ wurden - und wegen allzugroßen Hungers „Mundraub“ begingen.
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Der am 6.4.1962 gefasste Beschluss des Nationalen Verteidigungsrates der DDR beauftragte den Minister für Nationale Verteidigung gemäß Tagesordnungspunkt 6 Absatz 3, Maßnahmen zur Schaffung von Führungsstellen des Ministeriums einzuleiten.
Nachdem sich als möglicher Standort solch einer Führungsstelle die Kaserne Hennickendorf herauskristallisierte, begaben sich am 31.5.1965 zwei Generale (GM Streletz, GM Reymann), 1 Oberst und 2 OSL auf Erkundungstour. In seinen handgeschriebenen geheimen Notizen für den Minister schrieb Generalmajor Streletz (damals Stellvertreter des Chefs des Hauptstabes für operative Fragen):
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„Es wurde festgelegt, das Objekt HENNICKENDORF entsprechend der Festlegung des Ministers für Nationale Verteidigung in möglichst kurzer Zeit als Ausweichführungsstelle vorzubereiten.
Dazu wurde in Erwägung gezogen, einen U-Block zur Aufnahme des Personalbestandes der Führungsstelle einzurichten, ständig bereit zu halten und in der Perspektive für die Führungsgruppen und den Nachrichtenknoten eine unterirdische Anlage mit Verbindung zum U-Block zu bauen.
Die Errichtung der Anlage sollte zweckmäßigerweise einer Baupioniereinheit der NVA übertragen werden, deren Struktur der Erfüllung sämtlicher Arbeiten entsprechen müßte.
Die Unterbringung der Baueinheit könnte bis zum Abschluß der Arbeiten im Objekt HENNICKENDORF erfolgen.
...
Im Ergebnis der Besichtigung wurde durch den Stellvertreter des Ministers und Chef des Hauptstabes festgelegt, nach Entscheidung des Ministers für Nationale Verteidigung eine Konzeption für den Ausbau und die Verwendung des Objektes HENNICKENDORF zu erarbeiten.“
Zufällig oder gewollt - der 1965 zum Chef der Verwaltung Bauwesen im MfNV und GKdos-Bestätigten aufgestiegene Oberstleutnant Wolfgang Kaiser bekam es nun erneut mit dem „Objekt HENNICKENDORF“ zu tun, welches er bereits schon einmal 1960 als Fla-Raketenobjekt baute.
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1960: Fertigstellung der Kaserne für eine angedachte Fla-Raketen-Abteilung; nach „Planänderung“ genutzt als eines
der 5 Objekte des Reserve-Ausbildungs-Regimentes 5
Die Sowjets in der DDR hatten eigene Vorstellungen bezüglich der Sicherung des Luftraumes. Hennickendorf passte nicht in diese Pläne
Zwischen 1963 und 1965 stand die Kaserne praktisch leer
Vier Seiten Handschriftliches zur geheimen Erkundungstour - überliefert als GVS Va /18/65 |