Raketentechnische Basis 2 - Chronik
1. Raketen - eine neue Waffe Zwar verstanden es schon die alten Chinesen, mit Schwarzpulver angetriebene kleine Raketen (nachgewiesen sind die „Pfeile des stürmischen Feuers“ im 13. Jahrhundert) zu verschießen, doch erst das 20. Jahrhundert war dazu bestimmt, moderne Raketen zu entwickeln und zu bauen, die auch (oder gerade) militärisch einsetzbar waren.
4.7.1941 erster Fronteinsatz von 7 Geschosswerfern M-13 („Katjuscha“, von den
Deutschen als „Stalinorgeln“ bezeichnet) im Raum Orscha Am 3. Oktober 1942 startete um 15.40 Uhr vom „Prüfstand VII“ der Heeresver suchsanstalt-Peenemünde beim 4. Test eine Rakete A4. Sie erreichte mit einer Beschleunigung von 1340 m/s eine Höhe von 85 Kilometern und ging in einer Entfernung von 190,5 km vor der pommerschen Küste nieder.
Mit der Zündung der ersten Atombomben durch die USA (16. Juli 1945) und die UdSSR (29. August 1949) erhielt die Frage nach zuverlässigen und modernen Einsatzmitteln für die Kernwaffen
höchste Priorität. Neben Langstreckenbombern wurden dafür auch die Raketen in Betracht gezogen. | Entwicklung und Einsatz von Raketen im 2. Weltkrieg | ||
Zügig wurde an der Verbesserung der Rakete gearbeitet. Unter Leitung der sowjetischen Experten Sergej Koroljow und Valentin Gluschko entstand die 14,65 m lange Fernrakete „R-1“ (NATO-Code SS-1 „Scunner“, spätere russischer GRAU-Index 8A11). Am 17. September 1948 stieg sie zu ihrem ersten Teststart auf, am 10. Oktober 1948 erfolgte ein erfolgreicher Probeflug über die volle Reichweite. Die Rakete erreichte das Ziel in 288 km Entfernung. Die R-1 kann als „Urmutter“ der nachfolgenden operativ-taktischen und strategischen Raketen der Sowjetunion angesehen werden. Ab 1950 wurde die R-1 in die Streitkräfte eingeführt. Unabhängig von ihrer vorgesehenen Weiterentwicklung sollte sie dazu dienen, das Personal in der Handhabung dieses Systems bereits vor der Einführung der eigentlichen Einsatztypen auszubilden. | 17.9.1948: Erster erfolgreicher Testflug der sowjetischen Rakete R-1 | ||
Durch Weiterentwicklung (unter anderem abtrennbare Gefechtsköpfe ab der R-2 und lagerfähiger Flüssigtreibstoff) entstand zu Beginn der 1950er Jahre eine zirka 10,7 m lange und knapp 5 t schwere Rakete mit einer Reichweite von rund 170 km, die als „R-11“ (Werksbezeichnung 8K11, NATO-Code SS-1b „Scud A“) am 28. April 1953 ihren ersten Teststart absolvierte und vom 7. April bis 13. Mai 1954 intensiven Erprobungen unterzogen wurde. Bald wurde die 8K11 in die sowjetische Armee eingeführt. Die Generation dieser Raketen hatte allerdings noch eine Zielabweichung von 3000 bis 4000 Metern im Radius. ![]() Abb 1.3 Rakete 8K11 (im westlichen Sprachgebrauch: „Scud A“) auf Ketten- Zur gleichen Zeit liefen die Tests (ab 15. März 1953) für die größere Rakete R-5, die eine Reichweite von 1200 km haben sollte. Zwei Jahre später hatte die Sowjetunion mit der Einsatzversion der Rakete R-5M (SS-3 „Shyster“, Teststart 21. Januar 1955) einen geeigneten Kernwaffenträger für mittlere Reichweiten. 1956 wurden die ersten 28 Raketen R-5M in Dienst gestellt und zur Parade in Moskau im November 1957 erstmals der Öffentlichkeit vorgeführt. Laut Publikationen, die nach dem Ende des Kalten Krieges veröffentlicht wurden, hatten die Sowjets einige wenige solche Raketen im Zeitraum 1958/59 auch (heimlich) in der DDR im Raum Fürstenberg stationiert. |
28.4.1953: Erster Start einer Rakete 8K11 auf einem sowjetischen Testgelände |
2. Das Raketenzeitalter beginnt auch für die NVA Die Sowjetunion, die im 1955 gegründeten Militärbündnis Warschauer Vertrag die führende und bestimmende Rolle inne hatte, drängte frühzeitig auch die anderen Armeen der Koalition, durch Aufstellung von Raketeneinheiten die Feuermöglichkeiten aller Teilstreitkräfte entscheidend zu erhöhen. Die Waffengattung Artillerie entwickelte sich zur Waffengattung Raketentruppen und Artillerie, wobei die Raketen als Hauptfeuerkraft der Landstreitkräfte konzipiert wurden.
Vorbereitende Schritte zur Aufstellung von Raketeneinheiten in den Landstreitkräften der NVA • 1. und 2. Dezember 1960: In Vorbereitung der 1961er Beratung des Politisch Beratenden Ausschusses des Warschauer Vertrages erarbeitet das Vereinte Oberkommando (VOK) unter Teilnahme von 4 Generalen / Offizieren der NVA „Vorschläge über die Ausstattung der NVA mit neuer Bewaffnung und Aus- rüstung“. • 20. Januar 1961: Der Nationale Verteidigungsrat der DDR berät über eine Änderung der Struktur der NVA und neue Bewaffnung und Ausrüstung. • Ab Februar 1961: Die erste Gruppe von NVA-Offizieren nimmt an einem speziellen Lehrgang an der Artillerieakademie in Leningrad teil. • März 1961: Der Politisch Beratende Ausschuss des Warschauer Paktes gibt den Mitgliedsstaaten Empfehlungen zur Modernisierung der Bewaffnung ihrer Streit- kräfte, unter anderem zur Ausrüstung mit Boden-Boden-Raketen |
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In der Nationalen Volksarmee wurden ab 1962 Raketentruppenteile aufgestellt. Am 10. Mai 1962 begann im Standort STALLBERG die Formierung der Selbständigen Artilleriebrigade 2 (sABr-2). Hauptbewaffnung der Brigade bildeten operativ-taktische Raketen 8K11. Im September 1962 trafen 3 Startrampen 8U218 ein. Am 10. August 1963 erfolgte der erste Start einer Rakete 8K11 mit NVA-Bedienung auf dem sowjetischen Staatspolygon KAPUSTIN JAR in Kasachstan.
Parallel mit der Formierung der sABr-2 wurden gemäß Ministerbefehl 17/62 des damaligen Ministers für Nationale Verteidigung diesen Herausforderungen Rechnung getragen. ![]() ab dem 11. Mai 1962 auch Einheiten für den Einsatz taktischer Raketen aufgestellt. Am 1. Dezember 1962 meldete die Selbständige Artillerieabteilung 9 (sAA-9) in SPECHTBERG die Gefechtsbereitschaft; bis Ende 1962 war auch die sAA-8 formiert, im Februar 1963 wurde die sAA-1 im Standort BRÜCK aufgestellt. Der erste Start einer taktischen Rakete 3R9 LUNA (Reichweite 45 km) erfolgte am 2. Oktober 1963 um 11 Uhr auf dem GSSD-Übungsplatz LETZLINGER HEIDE. |
Mai 1962: Aufstellung der ersten Raketeneinheiten in der NVA. Zur Begrifflichkeit: Unter den Raketeneinheiten verstand man die Brigaden und Abteilungen mit Raketen der Klasse Boden-Boden, nicht aber die Flugabwehrraketen | ||||||
Zur Parade 1964 Maiparade in den 60er Jahren zeigte die Nationale Volksarmee erstmals öffentlich Boden-Boden-Raketen der Typen 8K11 und 3R9 auf ihren Kettenstartrampen. |
Zur Maiparade 1964 wurden in der DDR erstmals Raketen der NVA öffentlich gezeigt | ||||||
Etwa zeitgleich mit der Aufstellung der Raketeneinheiten erfolgte der Aufbau raketentechnischer Einheiten. Am 27. Oktober 1962 erließ DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann den Befehl 106/62 „Aufstellung von Einheiten der Landstreitkräfte der NVA zur weiteren Erhöhung der Gefechtsbereitschaft“. Dahinter verbarg sich nichts anderes als die Bildung von neuen Raketen- und raketentechnischen Einheiten. In diesem Befehl sind unter anderem Festlegungen zur Aufstellung einer „Beweglichen Artillerietechnischen Basis“, eines Munitionslagers und einer „Parkbatterie“ im Standort Brück in der Zeit vom 3. bis 29. Dezember 1962 genannt. ![]() Grafik 2.2 Strukturschema der BATB-2, der PBtttr-2 und des ML-2 im Jahre 1963 |
Oktober 1962: Befehl zur Aufstellung einer Beweglichen Artillerietechnischen Basis im Standort Brück | ||||||
Die Strukturelemente der neuen Einheiten verdeutlichten, dass das Ganze mit „Artillerietechnik“ wenig zu tun hatte. Dementsprechend erfolgte die Aufstellung der Beweglichen Artillerietechnischen Basis, des Munitionslagers und der Parkbatterie unter höchster Geheimhaltung. |
Randnotiz: Selbst Eingeweihte wussten nicht recht, wieso es zwei Transportbatterien gab | ||||||
Gemäß Befehl 136/62 des Ministers wurde der Formierungsprozess terminlich noch einmal präzisiert und auf den Zeitraum 1. bis 28. Februar 1963 verschoben.
Insofern gilt der 1. Februar 1963 als die Geburtsstunde der Raketentechnischen Truppenteile der NVA. Nach ihrer Aufstellung unterstanden die BATB-2 und die beiden anderen Einheiten dem Chef Artillerie im Ministerium
für Nationale Verteidigung (MfNV). Die 1. Ergänzung des Befehls 106/62 legte fest, dass bis zum 15. Juli 1963 die „Parkbatterie 2“ (PBttr-2) und das Munitionslager 2 an den Kommandeur der
Beweglichen Artillerietechnischen Basis 2 zu unterstellen waren. |
Der 1. Februar 1963 gilt als Geburtsstunde der Raketentechnischen Truppenteile der NVA | ||||||
OSL a.D. Wolfgang Jablonski, als frischgebackener Leutnant in die BATB-2 Brück versetzt, erinnert sich an die frühen 60er Jahre:
Als Ende der 50er Jahre im Raum der kleinen Stadt Brück großflächige Vermessungsarbeiten mit massiven Holzeinschlägen einhergingen, war den Anwohnern, aber auch den westlichen Aufklärern sofort klar: Hier tut sich was für die NVA. Die Resonanz in der Kleinstadt war wider Erwarten positiv. Das ortsansässige Gewerbe erhoffte sich zu Recht einen wirtschaftlichen Aufschwung. Und der kam auch. War das erste Kontingent, eine Reseveausbildungseinheit, schon positiv angenommen worden, kam mit der BATB-2 der Durchbruch.
Nahe der kleinen Wohnsiedlung befand sich die Kaserne (Objekt 1), wie man sie sich nicht besser vorstellen konnte: Stabsgebäude, Ledigenwohnheim, Unterkunftsgebäude, Küchenkomplex, BA-Lager, Med-Punkt, Klubhaus, allgemeiner Park, Tankstelle, Heizhaus, Verkaufsstelle, Gaststätte. Alles neu errichtet und dementsprechend das Modernste, was die NVA zu bieten hatte. Das zweite Objekt war zirka 2 km vom Unterkunftsbereich entfernt und über eine neu angelegte Betonstraße zu erreichen. Es bestand aus mehreren, nicht unbedingt strukturmäßig zusammengehörenden Einrichtungen. Da war zuerst das Lehrzentrum, dann der Gefechtspark, das Spezialtanklager, das Munitionslager und nicht zu vergessen die Staffel der Wachhunde, anfangs 12, mit ihrer Zwingeranlage und der dazugehörenden Hundeküche. Jedes dieser Teilelemente hatte seinen eigenen Zaun oder Mauer und der Außenzaun war zusätzlich durch Hochspannung gesichert. Das war die Ausgangslage. Die nicht voll aufgefüllte Mannschaft hatte die Aufgabe, ab Herbst 1963 die Herstellung der Gefechtsbereitschaft sicherzustellen. Der Stellvertreter des Kommandeurs für Ausbildung, Major Dorow, musste mit einer Handvoll junger Offiziere, die das erste Mal auf Lehrgängen in SUMY (UdSSR) etwas von Raketen gehört hatten, aus unzähligen Kisten und Containern ein funktionsfähiges Lehrzentrum zu installieren. Über das Waffensystem in der BATB-2 hatten die Ortsansässigen nur spekulieren können. Zur Tarnung wurde nach Gutdünken und vorhandenem Kfz. eine 76-mm Kanone zum Schaufahren quer durch die Gegend transportiert. Am 1. März 1965 erhielt die BATB-2 ihre Truppenfahne. Schon zwei Monate später, am 1. Mai 1965, wurde die BATB-2 dem Kommando des Militärbezirkes V unterstellt. Ab Ende 1965 verbesserte sich auch die Wohnungssituation der Berufskader enorm. Die jetzt neu errichteten zwei Blöcke mit insgesamt 64 Wohneinheiten lösten alle Probleme mit einem Schlag. In BRÜCK verblieben die selbständige Transportbatterie und das Munitionslager. Sie bildeten sozusagen den Ursprung der späteren Raketentransportabteilung bzw. der erst in den 70er Jahren erfolgten Formierung zur Raketentechnischen Basis. |
Brück: In den ersten Jahren bestand noch eine räumliche Trennung von Unterkunftsbzw. Parkund Lagerbereich in zwei Objekten
Kurze Geschichte des Objektes Brück I: 1961: Baubeginn; Teile des RAR-5 1963: BATB-2, PBttr-2 1967 US der LSK/LV 1974 BauPiB 24 1980 FRR-1 1991 PzBtl 423 2003 TrÜbPl Lehnin Die BATB-2, nunmehr BRTB-5, verließ 1967 den Standort Brück; es verblieben hier die STBttr-2 und das ML-2. Beide zählen als Vorläufer der 1969 formierten Raketentransportabteilung 2 | ||||||
Doch zurück in das Jahr 1963: Die PBttr-2 wurde recht bald umbenannt in Selbständige Transportbatterie 2 (STBttr-2). Der Name Transportbatterie setzte sich gegenüber
der ursprünglichen Bezeichnung „Parkbatterie“ durch, denn diese war in Ermangelung besseren Wissens oder noch fehlender Begrifflichkeiten wörtlich der russischen Dienstvorschrift (парковая батерея) entnommen.
Im Februar 1963 verfügte der Personalbestand der STBttr-2 (zirka 40 bis 50 Armeeangehörige) über keinerlei spezialtechnische Kenntnisse. Für denTransport von Raketen stand lediglich ein einziges
Spezialfahrzeug „Granit K-30“ zur Verfügung. Die Offiziere der STBttr-2 waren bisher nur in allgemeinen technischen Verwendungen ausgebildet. Die erste militärische Führung der Batterie bestand aus:
Die vorrangigen Aufgaben der STBttr-2 bildeten bis zum Sommer 1963 die allgemeinmilitärische Ausbildung des gesamten Personalbestandes, die Spezialausbildung am K-30 und darüber hinaus die Rodung von Unterholz hinter dem Parkbereich für den vorgesehenen Bau des ML-2.
Die Aufstellung der Batterie war durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet: ![]() Abb 2.5 Im Juni1965 nahmen die raketentechnische Truppenteile der NVA an einer großen Übung teil, die zugleich als Vorführung vor dem Vereinten Oberkommando galt. |
Die „Parkbatterie“ wurde in „Selbständige Transportbatterie 2“ umbenannt. Der ursprüngliche Name Parkbatterie entsprach dem russischen
„парковая батерея“
Sommer 1963: Die erste Ausbildungsvorschrift wurde aus dem Russischen übersetzt | ||||||
Vom 25. bis 30. Juni 1965 bewältigten die Angehörigen der STBttr-2 den ersten wirklichen Höhepunkt seit der Aufstellung der Batterie: Sie nahmen an einer Übung der Raketentechnischen Truppenteile und Einheiten der NVA und der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) im Bereich des TÜP JÄGERBRÜCK teil. Diese taktische Übung unter Leitung von Marschall Gretschko, Oberkommandierender der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages war gleichzeitig als Lehrvorführung angelegt.
Das Thema der Übung lautete „Die Sicherstellung der Raketentruppenteile/ -einheiten mit Raketen und Gefechtsköpfen in der Angriffsoperation“. Im Verlaufe der Handlungen erhielt die STBttr-2 die Aufgabe, einen Entfaltungsraum südlich von TORGELOW zu beziehen. Auf Signale hin übernahm die STBttr-2 am 28. Juni 1965 um 6.00 Uhr Träger und Gefechtsköpfe auf dem Bahnhof UHLENKRUG aus Eisenbahnwaggons, auf dem Flugplatz Lerz aus Flugzeugen AN-12 und im Hafen Peenemünde aus Landungsschiffen. Die Erfüllung der Übungsaufgabe wurde von den Vorgesetzten insgesamt mit „gut“ eingeschätzt. |
Juni 1965: Erstmalige Teilnahme der STBttr-2 an einer Übung der Raketen- und Raketentechnischen Truppenteile und Einheiten | ||||||
Das Munitionslager 2 (Personalbestand zu diesem Zeitpunkt: zirka 30 Soldaten) wurde im befohlenen Zeitraum aufgestellt. Es hatte die Aufgabe, Raketen und Raketentechnik zu lagern, notwendige technische Wartungen durchzuführen und die Raketen im engen Zusammenwirken mit der STBttr-2 zu den entsprechenden Einheiten der Landstreitkräfte zuzuführen. Mit einem veränderten Stellenplan erhöhte sich ab 1. Dezember 1965 der Personalbestand in der Folgezeit auf 167 Armeeangehörige. |
Das Munitionslager 2 wurde im befohlenen Zeitraum aufgestellt |